Mit Christus gegen den Sturm

Abschiedpredigt Eric Petrini

Ich erinnere mich an ein Bild aus einer Kinderbibel: Man sieht ein kleines Segelboot. Ein Sturm tobt und wirft das Boot hin und her. Die Mannschaft steht im vorderen Teil, im Bug und hält sich ängstlich in den Armen. Und im hinteren Teil liegt friedlich schlafend der Kapitän.

Es ist natürlich Jesus gemeint und die Besatzung sind die Apostel. Das nächste Bild zeigt einen Apostel, der Jesus weckt. Und der Meister tritt an die höchste Stelle des Bugs und beschwört den Sturm zur Ruhe.

Dieses Bild soll verdeutlichen, dass selbst in der grössten Verunsicherung Jesus nicht fern ist und wir mit dem grössten Vertrauen alle Hoffnung in ihn setzen können. Denn er wird uns beistehen.

Mich stört an diesem Bild, dass ein Grossteil der Apostel von Beruf Fischer war. Die Jungs wussten, wie man segelt und wie man einem Sturm trotzt. Für die Apostel ist es darum eine Ehrensache, ihrem Meister das bequeme Kissen anzubieten. Und selbst, als ein Sturm auftaucht, wissen die Seeleute, was zu tun ist. Sie schreien sich Anweisungen zu, ziehen die Leinen an und holen die Segel ein. Bis dann einer der Apostel sich traut, den Meister zu fragen, wie dieser so seelenruhig schlafen kann.

 

Der Sturm ist doch heftiger als gedacht und man kann jede Hand gebrauchen. Und dann zeigt Jesus ihnen, was es heisst, als Sohn Gottes selbst dem Sturm zu gebieten. Jesus erweisst sich als mächtiger, als wir es uns überhaupt nur denken können. Aber – es braucht Geduld, bis er seine Macht aufblitzen lässt.

Dieses Bild zeigt Gottes Grösse. Gott gibt mir eine gewisse Verantwortung. Aber mein Spielraum stösst irgendwann an seine Grenzen. Und wenn es so richtig brenzlig wird, ist da immer noch Gott. Denn Gott ist immer grösser. So ein Bild macht mir bewusst, dass nur Gott mir wahren Sinn und Halt gibt.

An diesem Bild stört mich, dass die Apostel dem Vertrauensvorschuss nicht ganz gerecht werden. Jesus traut ihnen durchaus zu, dass sie ein Boot auch in einem Sturm segeln können. Aber sie schaffen es eben nicht und sind auf das Eingreifen Jesu angewiesen. Und was soll man am Ende tun, wenn Jesus doch nicht eingreift?

Ein ähnliches und doch ganz anderes Bild zeigt sich, wenn ich den Sturm nicht wörtlich nehme: Jesus vertraut den Aposteln, dass sie dieses Boot segeln können. Es ist immerhin ihre Kernkompetenz. Er überlässt ihnen vertrauensvoll diese Aufgabe und bleibt im Hintergrund. Bis es anfängt, rau zu werden. Es beginnen stürmische Zeiten.

Die Apostel sind müde, ausgelaugt und werden langsam unachtsam. Der eine beschimpft den anderen, den Knoten nicht richtig zu knüpfen. Ein anderer beklagt sich über ein Loch im Segel. Einem anderen geht es nicht schnell genug. Irgendeiner pfeift ein Lied, das alle nervt. Irgendeiner erzählt ständig alte Geschichten und jemand anderes ist in Sorge, dass irgendwelche Gebote missachtet wurden. Und über allem ist sich eh uneinig, wo Jesus eigentlich hinwollte.

Es braut sich ein tiefsitzender Konflikt zusammen, in dem alle durcheinander streiten. Und das eigentliche Ziel der Reise aus den Augen verlieren.

Bis jemand tatsächlich Jesus ruft. «Herr, ist es Dir egal, dass Dein Schiff gerade untergeht?» Und Jesus donnert: «Jetzt seid endlich still». Und dann fragt Jesus: «vor was habt ihr solche Ängste? Wo ist euer Glaube?»

Dieses Bild zeigt mir das Boot, in dem wir alle sitzen. Das Boot der Kirche – das unserer Gesellschaft und letztlich auch das Boot meines eigenen Lebens. Es zeigt mir, dass Uneinigkeit nie ans Ziel führt. Wer sich in Nebensächlichkeiten verliert und dabei das grosse Ziel aus den Augen, geht irgendwann unter.

 

Aber ich sehe in diese Bild unglaublich viel Hoffnung. In diesem Bild ist Jesus die zentrale Grösse, auf die zwar im lauten Leben kaum noch jemand achtet. Aber ich kann mich darum bemühen, ihn wieder zu Wort kommen zu lassen.

Wenn ich merke, dass wir vor lauter Uneinigkeit im Streit verharren, weil jeder auf seiner Position beharrt, sollte ich jede Entscheidung, die ansteht, durch Gottes Augen betrachten. Wenn ich sehe, dass die grossen Werte, die Jesus uns gelehrt hat, kaum noch eine Rolle spielen, dann muss ich diese Werte doch wieder ins Gespräch bringen. Weil Jesus Ziel ist Friede im Himmel wie auf der Erde – und Friede für jeden Menschen, der guten Willens ist. Und wenn ich spüren, dass mein Boot sinkt droht und ich nicht mehr aus noch ein weiss, dann hilft manchmal nur noch ein Hilfeschrei.

Und dann sorgt Gott für Stille. Er beruhigt mein Herz, lässt mich zur Ruhe kommen. Er hilft mir, mich von meinen Ängsten zu lösen. Er hilft mir zu erkennen, dass mein Wert nicht von anderen abhängt, sondern dass Gott mir meinen Wert geschenkt hat. Er weckt wieder neuen Glauben, an ihn und auch an mich selbst und zeigt mir die Richtung, in die ich sein Boot steuern soll.

Bitten wir Gott, dass er all diese Bilder in uns lebendig hält. Dass er in der grössten Angst zu uns steht. Dass er sich immer wieder als mächtig erweisst. Dass er uns hilft, wenn die Kräfte uns verlassen. Dass er uns nachsieht, wenn wir ihn aus den Augen verlieren. Und bitten wir Gott, dass unser Boot des Lebens – und sein Schiff, dass wir Kirche nennen, wieder auf Kurs bringt. Gott schenke und erfülle uns dazu mit seiner wohlwollenden Liebe und seinem alles erfüllendem Frieden.